GBOL III: Dark Taxa möchte eine Reihe von Fragen rund um den Teil der Fauna in Deutschland angehen, der noch weitestgehend unbekannt ist: Es sind die so genannten „Dark Taxa“. Unbekannte und unerforschte Taxa gibt es in vielen taxonomischen Gruppen. Im Rahmen von GBOL III: Dark Taxa beschäftigen wir uns mit den Dark Taxa aus den Diptera (Fliegen & Mücken) und den parasitoiden Hymenoptera (parasitoiden Wespen), die zusammen geschätzt etwa ein Viertel der heimischen Tierwelt ausmachen.

Anteil der Dark Taxa aus den Diptera sowie den Hyenoptera an der Fauna Deutschlands

Die parasitoiden Wespen sind eine der am wenigsten bekannten Gruppen unter den Insekten, und selbst Entomologen haben manchmal Schwierigkeiten, einige der wichtigsten Gruppen zu benennen oder zu erkennen.

Viele sind wirkliche „Dark Taxa“. Parasitoide Wespen sind unglaublich vielfältig. Es gibt Tausende von Arten in Mitteleuropa und vielleicht Millionen weltweit. Alle parasitoiden Wespen – mit Ausnahme einiger Untergruppen, die zu einem phytophagen Lebensstil zurückgekehrt sind – entwickeln sich auf oder in anderen Arthropodentaxa, meist Insekten, und töten dadurch den Wirt im Gegensatz zu einem Parasiten. Vielfalt, Fülle und die enge Verbindung zu anderen Taxa machen sie zum entscheidenden Stück für unser Verständnis von Ökosystemen sowie für unser Verständnis der Entstehung der biologischen Vielfalt. Darüber hinaus sind sie wichtig für die Erhaltung von Biotopen. Aber es sind Arten, für die bisher völlig vernachlässigt wurden. Sie könnten eine nicht unwesentliche wirtschafltliche Rolle spielen als Antagonisten von Schädlingsarten und damit als biologische Schädlingsbekämpfung, als Bestäuber und als weitgehend ungeschriebenes Arzneibuch. In der Vergrößerung sind parasitoide Wespen faszinierend, wirken oft agil und charismatisch. Sie sind nicht nur vielfältig, was die Artenzahlen angeht, sondern auch in Morphologie und Lebensgeschichte. Unter den parasitoiden Wespen findet man das kleinste aller Insekten genauso wie große, farbenfrohe Vertreter. Man findet die seltsamsten und schönsten Kreaturen – und selbst nach jahrzehntelanger Arbeit an parasitoiden Wespen wird man auf einige neue auffällige Wespen stoßen, die man noch nie zuvor gesehen haben.

Fliegen und Mücken bilden zusammen die Ordnung Diptera (Insecta). Namensgebend ist ihr auffälliges Merkmal, dass sie im Gegensatz zu den meisten anderen Insekten, nur ein Flügelpaar besitzen („Di“ bedeutet zwei und „ptera“ bedeutet Flügel). Das ansonsten bei adulten Insekten vorhandene zweite Flügelpaar ist zu zwei kleinen, flugstabilisierenden Organen, genannt Halteren, umgebildet. Die Ordnung Diptera wird traditionell in zwei Hauptgruppen unterteilt – die Brachycera und die „Nematocera“ oder „Niederen Dipteren“.

Die „Nematocera“ sind eine paraphyletische Gruppe, die verschiedene evolutionäre Zweige umfasst, die im deutschen Sprachraum, mit Ausnahme regionaler Besonderheiten, allgemein als Mücken zusammengefasst werden. Morphologisch sind sie leicht zu erkennen; die adulten Tiere haben lange, segmentierte Fühler und die Larven haben eine vollständig ausgebildete Kopfkapsel mit Mandibeln. „Niedere Dipteren“ sind weltweit verbreitet und zahlreich in diversen Ökosystemen. Die ökologischen Nischen der Larven reichen von voll aquatisch bis voll terrestrisch und sie sind oft Detritusfresser oder Filtrierer, können aber auch räuberisch oder sagrophag leben. Adulte Tiere nehmen normalerweise keine Nahrung oder nur Wasser auf, manche Gruppen ernähren sich aber auch von pflanzlichem Material, wie Nektar oder Pollen oder saugen das Blut von Wirbeltieren (z.B. Stechmücken, die aber im Rahmen von GBOL III: Dark Taxa nicht bearbeitet werden). Wegen ihres extrem weiten Spektrums an Habitaten spielen sie eine wichtige Rolle in vielen Ökosystemen als Destruenten von organischem Material (saprophage Larven), als Populationskontrolle für andere Organismen (räuberische Larven), als Bestäuber (adulte Tiere) und als  Nahrungsquelle für andere Räuber.

„Niedere Dipteren“ werden wegen ihrer kleinen bis winzigen Größe, ihrer „Zartheit“ und ihrem Mangel an diagnostischen äußeren Merkmalen selten von Taxonominnen und Taxonomen bearbeitet. In GBOL III: Dark Taxa wollen wir mit einer neuen Generation von Taxonominnen und Taxonomen mehr Licht in die Gruppe der „Niederen Dipteren“ bringen. Deshalb bearbeiten fünf von sechs unserer Promovierenden, die mit Dipteren arbeiten, jeweils eine Gruppe der „Niederen Dipteren“, nämlich die Limoniidae, Psychodidae, Chironomidae, Sciaridae und die Cecidomyidae.


Die Familie der Gallmücken (Cecidomyiidae) umfasst Arten, deren Larven entweder Pilzfresser (Mykophage), Pflanzenfresser (Phytophage) oder Räuber (Prädatoren) sind; Mykophagie ist die ursprüngliche, Phytophagie (unter Einschluss der Gallbildung) die möglicherweise häufigste Form des Nahrungserwerbs. Fünf der sechs Unterfamilien gelten als rein mykophag. Die Familie ist ein dark taxon par excellence: Man weiß nicht einmal annähernd, wie viele rezente Arten es weltweit gibt (Schätzungen reichen von 20000 bis 2 Millionen) und von den meisten der 6500 beschriebenen Arten ist nur Weniges zur Morphologie und Bruchstückhaftes zu Lebensweise und Verbreitung bekannt. Bislang galten die Pflanzenfresser als artenreichste Gruppe, aber jüngere Forschungen (vor allem in Schweden) legen nahe, dass zumindest in den gemäßigten Breiten der Nordhalbkugel die Zahl der Pilzfresser überwiegt (und die Zahl der Prädatoren bislang eklatant unterschätzt wurde). Das darf auch für die deutsche Fauna erwartet werden, obwohl die verfügbaren Daten etwas anderes zu suggerieren scheinen. Realistischerweise können wir mit dem Vorkommen von 2500 verschiedenen Cecidomyiidae in Deutschland rechnen, was bedeutet, dass zwei Drittel der Arten noch nicht nachgewiesen sind―die bislang identifizierten 930 BINs deuten in genau diese Richtung. Vor GBOL III: Dark Taxa liegt hinsichtlich der Cecidomyiidae also eine anspruchsvolle Aufgabe, die nicht einfacher dadurch wird, dass mindestens die Hälfte der zu erwartenden Arten als „selten“ eingestuft werden muss.

Die Chironomidae (Zuckmücken) sind eine vielfältige und wirtschaftlich wichtige Gruppe der Nematocera (Mücken). Da die Larvenstadien aquatische oder semi-aquatische Lebensräume bewohnen sind viele Arten wichtige Indikatororganismen, z.B. zur Beurteilung der Wasserqualität. Darüber hinaus dienen Larven und Puppen als wichtige Nahrungsquelle für andere Wasserorganismen. Trotz ihrer weltweiten Verbreitung, ihres Artenreichtums (Schätzungen gehen von weit über 10.000 Arten aus) und ihrer großen zahlenmäßigen Häufigkeit, ist die Identifizierung dieser Insekten bekanntermaßen schwierig. Die Aufzucht erwachsener Männchen oder zytogenetische Analysen ihrer Chromosomen sind normalerweise zur korrekten Identifizierung erforderlich. Zudem können sich nah Verwandte oder identische kryptische Arten morphologisch stark voneinander unterscheiden.

Die Empidoidea sind eine meist räuberische Gruppe von Fliegen, deren Larven und Adulte andere Insekten angreifen. Diese räuberische Natur macht diese Fliegen besonders interessant, da sie eine wichtige Rolle bei der Schädlingsbekämpfung als natürliche Feinde von Schädlingsinsekten spielen. Weltweit sind über 10,000 Arten dokumentiert, davon leben 10% in Deutschland. Obwohl diese Gruppe Gegenstand verschiedener phylogenetischer Studien war (e.g., Wahlberg & Johanson 2018), ist die Taxonomie auf Artenebene noch weitgehend ungelöst. Die Empidoidea sind morphologisch sehr vielfältig und haben eine Länge von 1 bis etwa 15 mm.

Pilzmücken der Familie Keroplatidae sind hauptsächlich Waldbewohner, die in feuchten Lebensräumen vorkommen, genau wie die von ihren bevorzugten Wirtspilze. Sie sind weltweit verbreitet und kommen am häufigsten in tropischeren, feuchteren Regionen vor, können jedoch in einer Vielzahl von Ökosystemen angetroffen werden. Adulte Tiere sind meistens an dunklen, feuchten Orten anzutreffen, manchmal in Höhlen. Ihr Flug ist langsam und sie sind meistens dämmerungs- oder nachtaktiv. Larven bewohnen ebenfalls feuchte, dunkle Orte wie Höhlen, Internodien im Bambus, tief ausgehöhlte Hohlräume unter Steinen oder umgestürzten Stämmen. Larven können räuberisch oder mykophag sein (von Pilzen ernährend). Einige haben lumineszierende Larven, die als „Glühwürmchen“ bekannt sind. Es gibt Ausnahmen wie die Larven von Planarivora insignis, einer tasmanischen Art, die endoparasitisch in Landplanariern leben. Leider ist aber die Biologien der Larven der meisten anderen Gattungen noch unbekannt.
Insgesamt wurden 62 Arten aus Deutschland gemeldet (Kallweit & Plassmann 1999; Schumann 2002, 2005), aber nur die Hälfte wurde erfolgreich in GBOL gebarcodet, und ein Fünftel der barcodierten Exemplare hat noch keinen Artennamen. In den ZFMK-Sammlungen befinden sich mehr als 2400 Keroplatiden als Ergebnis der Feldkampagnen von GBOL I und II. Die Gruppe verdient eine taxonomische Überprüfung für Mitteleuropa mit der Implementierung von DNA-Barcoding.

Pediciidae gehören zusammen mit den lebenden Familien Cylindrotomidae, Limoniidae und Tipulidae zur Tipuloidea. Pediciidae sind relativ große, langbeinige, mückenartige Fliegen mit einem länglichen Bauch. Erwachsene leben meist an schattigen, feuchten Orten in der Nähe der Lebensräume (meist Gewässer), in denen sich ihre Larven entwickeln. Die Larven dieser Familie sind in ihrer Lebensweise sehr unterschiedlich. Einige Arten ernähren sich von Pilzen in teilweise zersetztem Totholz in Wäldern, aber die meisten anderen Arten leben in oder an den Ufern von Gewässern, wo sie sich von abgefallenen Blättern und anderen weichen, teilweise zersetzten Pflanzenresten ernähren. Pediciidae ist keine große Familie (37 Arten in Deutschland; siehe Schumann et al. 1999; Schumann 2010), ist jedoch in der GBOL-Datenbank mit nur 12 gebarcodeten Arten unterrepräsentiert. DNA-Barcoding und eine taxonomische Überarbeitung der Familie zielen darauf ab, Arten dieser Familie leicht zu erkennen, um das Studium ihrer Ökologie und Naturgeschichte zu ermöglichen.

Limonia nubeculosa – Foto: wikimedia commons

Limoniidae werden, zusammen mit den drei anderen Familien der Tipuloidea (Tipulida, Pediciidae und Cyclindrotomidae), landläufig als Schnaken bezeichnet. Sie sind eine der evolutionär ursprünglichsten Gruppen der Ordnung Diptera (Jong 2017). Limoniidae sind wohl die artenreichste Dipteren-Familie mit mehr als 10.525 beschriebenen Arten weltweit (Jong 2017, Brown 2009, Oosterbroek 2020). Die meisten Larven der Limoniidae ernähren sich von verrottendem pflanzlichen Material, Algen, Moosen, Pilzen etc., die Larven einiger Arten (Unterfamilie Limnophilinae) leben aber auch räuberisch von kleinen Invertebraten und Würmern. Die Larvenstadien dieser Familie spielen somit eine wichtige ökologische Rolle als Destruenten von organischem Material (teilweise wichtige Anzeiger in der EU-Wasserrahmenrichtlinie „Richtlinie 2000/60/EG“) und die adulten Tiere stellen eine wichtige Nahrungsquelle für Vögel, andere Vertebraten, Spinnen und räuberische Insekten dar (Gelhaus 2009). Bestimmungsschlüssel für westpaläarktische/europäische Limoniidae sind unvollständig, veraltet, unvollendet, behandeln nur einen kleinen Teil der Artenvielfalt des Kontinents oder sind eine Kombination aus mehreren dieser Punkte. Es gibt keine vollständigen und zusammenfassenden Arbeiten, die unseren aktuellen Wissensstand über diese Gruppe abbilden. Mit 292 nachgewiesenen Arten (Oosterbroek 2020), existieren in Deutschland mehr als die Hälfte der in Europa nachgewiesenen Arten dieser Famile (etwa 70 Gattungen und ca. 560 Arten; Oosterbroek 2015). Untersuchungen der deutschen Fauna in GBOL I und II (2012-2018) resultierten im Hinblick auf Limoniidae in 1.078 untersuchte Exemplare, aber nur in 601 DNA Barcodes von 89 verschiedenen Arten (etwas weniger als 1/3 der deutschen Biodiversität der Limoniidae). Deshalb ist eines der Ziele von GBOL III eine umfassende DNA Barcode Datenbank der Limoniidae zur Verfügung zu stellen und neue Erkenntnisse über die Taxonomie und die Systematik dieser Gruppe zu erlangen.

Buckelfiegen (Phoridae) zählen mit 4.300 weltweit bekannten und 400 nachgewiesenen Arten in Deutschland, zu den artenreichsten und am häufigsten auftretenden Familien der Diptera. Einzig die Syrphidae übertreffen die Artenzahlen der Phoridae in der Gruppe der niederen Cyclorrhapha. Allein die Gattung Megaselia enthält weltweit über 1.600 beschriebene Arten, von denen in Deutschland 250 nachgewiesen sind. Die tatsächliche Artenzahl liegt aber nach Schätzungen bei 10.000 – 20.000 Arten weltweit. Phoridae sind eine der ökologisch diversesten Gruppen innerhalb der Dipteren. Sie tragen zum ökologischen Gleichgewicht in ihrer Rolle als Zersetzer, Herbivore, Räuber, Parasitoide und Parasiten bei. Phoridae gehören auch zahlenmäßig zu den häufigsten Dipteren in Malaisefallen. Verglichen mit anderen Familien der Brachycera ist ihr Artenreichtum sehr hoch, aber schlecht erfasst, da auch wenige Experten sich mit der Gruppe beschäftigen. Ein Beispiel für ihr häufiges Auftreten und die unerforschte Diversität ist die kürzlich durchgeführte Aufnahme im städtischen Bereich von Los Angeles. Innerhalb eines Jahres wurden über 42.000 Individuen an Phoridae gefangen, die zu 99 Arten zugeordnet werden konnten von denen aber 43% unbeschrieben waren. Ergebnisse aus Dänemark zeigen, dass ein ähnlich hoher Prozentsatz an unbeschriebenen Arten auch in Mittel und Nord-Europa erwartet werden kann. Bestehende Schlüssel umfassen allerdings nur einen kleinen Teil der Artenvielfalt. Daher können morphometrische Methoden und DNA-Barcoding bei besonders morphologisch uniformen Gattungen eine große Hilfe bei der Bestimmung sein. Im Projekt wird ein integrativ taxonomischer Ansatz genutzt, um die biologische und morphologische Vielfalt der Phoridae und im Besonderen der Gattung Megaselia zu erfassen. DNA-Minibarcodes und Barcodes werden genutzt, um unbekannte Arten zu erkennen und morphologische Barcodes zu erstellen. Es ist schwer zu ermitteln, wie viele unbekannte Arten zu erwarten sind, da es in Mitteleuropa wenig Forschung in der jüngeren Vergangenheit zu Phoriden gab, es ist aber klar, dass es selbst in gut untersuchten Gebieten Dutzende neue Arten gibt. Es wird auch die Artzusammensetzung und Diversität der Phoridae über verschiedene Sammelgebiete und Habitate hinweg verglichen.

Megaselia scalaris

Mottenfliegen (Diptera: Psychodidae) sind kleine nematocere Fliegen, die leicht zu erkennen sind, weil sie ein dicht haariges Gewand besitzen. Viele von ihnen halten in der Ruhestellung ihre Flügel horizontal über dem Hinterleib, was ihnen das Aussehen kleiner Motten gibt. Daher der umgangssprachliche Name Mottenfliege (Moths Flies). Adulte haben unregelmäßige und schwache Flug. Es ist ihnen gelungen, in eine Vielzahl von Lebensräume vorzustößen, von hochmontanen Bächen bis zu sehr kontaminierten Abflüssen. Ihre Larven kommen in verschiedenen Lebensräumen wie verrottendem Holz, Aas, Pilzen, Mist und Boden vor. Die Familie hat bisher rund 2.900 beschriebene Arten, und obwohl sie in der Welt weit verbreitet sind und einige von ihnen Krankheitsüberträger sind, sind sie aufgrund ihrer geringen Größe und ihrer schweren Sammlung eine sehr vernachlässigte und schlecht erforschte Gruppe unter den Dipteren. Im Laufe der Jahre wurden viele verschiedene Klassifikationen für diese Familie vorgeschlagen, und die Beziehungen innerhalb der Gruppe wird viel diskutiert. In Europa wird diese Familie gut untersucht, wobei fast 500 Arten in mehreren Ländern erfasst wurden. Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren viele neue Arten gefunden. In anderen Ländern fehlen jedoch Sammlungen und systematische Studien. Viele Arten sind als Männchen bekannt, bei den meisten Arten fehlt die Beschreibung der Larvenstadien. Derzeit sind Mottenfliegen in Sammlungen der Museeun eine sehr unterbesetzte Gruppe, die sp für aktuelle taxonomische Studien geeignet ist. Daher kann GBOL III: Dark Taxa und DNA-Barcoding her einen wertvollen Beitrag zur Erforschung von Biologie und Systematik dieser Gruppe leisten.

Lepidiella matagalpensis – Foto: S. Jaume Schinkel
Bradysia bicolor

Trauermücken (Sciaridae) sind mit über 3.000 Arten eine der artenreichsten Gruppen der Nematocera innerhalb der Diptera, von der in Deutschland etwa 350 Arten bekannt sind. Daten weltweiter DNA Barcodinguntersuchungen lassen allerdings vermuten, dass es weltweit zwischen 10.000 bis 100.000 Arten geben könnte. Sciaridae sind Zersetzer von Pflanzen- und Pilzmaterial im Boden oder abgestorbenem Holz. Durch ihr zahlreiches Vorkommen, ihren Artenreichtum und die einfache Erfassungsmöglichkeit via Malaisefallen, könnten Sciaridae eine hervorragende Indikatorfunktion für die Qualität von Habitaten darstellen. Einige Arten sind von ökonomischer Bedeutung, da sie als Schädlinge von Nutzpflanzen und Pilzen in Gewächshäusern auftreten. Sciaridae sind eine der individuenreichsten Familien, die mit Malaisefallen gesammelt werden. Selbst in temperierten Gebieten ist ihre Artenvielfalt hoch, aber durch die vergleichsweise wenigen Experten schlecht erforscht und damit für ökologische Studien nicht nutzbar. Die zuverlässigsten Merkmale zur Artabgrenzung sind die männlichen Genitalien, doch die Erfassung der Artenvielfalt in Bestimmungsschlüsseln ist sehr lückenhaft. DNA Barcoding hat sich jedoch in der jüngeren Vergangenheit als eine unerlässliche Methode herausgestellt, um kryptische Arten zu erkennen. Im Projekt wird integrative Taxonomie verwendet um die biologische und morphologische Vielfalt der Sciaridae in Deutschland zu erfassen. DNA Barcodes werden dabei verwendet, um neue Arten zu erkennen und morphologische Barcodes zu erstellen. Es wird auch das Potential von Sciaridae als Indikatoren für die Qualität von Habitaten (Boden und Waldgebiete) in ökologischen Studien geprüft. Des Weiteren werden Datenblätter zu den in Deutschland ökonomisch schädlich auftretenden Arten erstellt.

Die Chalcidoidea ist eine der größten Gruppen von parasitoiden Wespen mit derzeit etwa 22,000 beschriebene Arten und Schätzungen von bis zu 500,000 Arten. Ihre Taxonomie ist äußerst problematisch, da die ursprünglichen Beschreibungen häufig schlecht und oft nicht diagnostisch sind und nur für wenige Gruppen Identifikationsschlüssel verfügbar sind. Möglicherweise können weniger als 5% der beschriebenen Arten ohne Vergleich mit dem Typusexemplar benannt werden. In Deutschland wurden etwa 750 Arten von Aphelinidae, Eulophidae und Encyrtidae erfasst, es wird jedoch erwartet, dass noch viel mehr Arten existieren. Das Wissen über ihre Biologie fehlt für die Mehrzahl der Chalcidoidea-Arten und basiert oft nur auf relativ wenigen repräsentativen Arten, trotz ihrer wichtigen Rolle für das Gleichgewicht der terrestrischen Ökosysteme durch ihre Fähigkeit, Populationen pflanzenfressender Insekten zu regulieren. Eulophidae sind meist primäre Parasitoide der Larven von Dipteren und Lepidopteren, aber auch von Coleopteren. Aphelinidae und Encyrtidae sind hauptsächlich mit Mottenschildläusen und Schuppeninsekten (Hemiptera: Sternorrhyncha) assoziiert, die viele wichtige Schädlingsarten stellen. Die Chalcidoidea umfassen einige der wichtigsten Arten, die zur biologischen Bekämpfung von Schädlingsinsektenpopulationen verwendet werden.

Die Überfamilie Ceraphronoidea umfasst zwei Familien mit weltweit 603 beschriebenen Arten (Ceraphronidae: 304 spp., Megaspilidae: 299 spp.), die nur einen kleinen Teil der zu erwartenden Vielfalt darstellen. Aus Deutschland sind nur 35 Arten (Ceraphronidae: 11 spp., Megaspilidae: 24 spp.) bekannt, doch es dürften mehrere Hundert sein. Ceraphronidae entwickeln sich als Endoparasitoide, oft in Nematoceren (Diptera) wie den Gallmücken (Familie Cecidomyiidae). Megaspilidae sind Ektoparasitoide einer Vielzahl von Wirten, wie den Diptera, Neuroptera, Mecoptera und Hemiptera. Einige entwickeln sich als Hyperparsitoide von parasitoiden Wespen, wie bspw. blattlausbefallenden Brackwespen (Braconidae). Die äußere Morphlogie der Ceraphronoidea ist sehr gleichförmig, wodurch nur wenige Merkmalssysteme in klassischen Artkonzepten berücksichtigt wurden (z. B. Körperproportionen und Oberflächenstrukturen). Jedoch stellte sich in jüngeren Studien die Genitalstruktur der Männchen als aussagekräftiges Merkmalssystem bei der Unterscheidung von Arten heraus. Für die Überfamilie der Ceraphronoidea im Gesamten wurde das Merkmalssystem aber nicht umfassend untersucht. Der Umstand, dass bisher kein taxonomisches System basierend auf den männlichen Geschlechtsteilen entwickelt wurde, ist besonders der kleinen Größe der Genitalien (100 – 200 µm) und der damit extrem schwierigen Bearbeitung geschuldet. Das Ziel des Projektes ist es, funktionsmorphologische Merkmale der männlichen Genitalien, sowie Barcoding ergänzend zu den traditionellen morphologischen Daten zu verwenden, um Artkonzepte zu überprüfen und die Weibchen den männlichen Tieren zuzuordnen. Morphologische Daten werden mit Hilfe von Micro-CT und Konfokaler Laserscanningmikroskopie (CLSM) erhoben. Auch soll das Potential von Flügel-Interferenzmustern zur Artunterscheidung untersucht werden. Mit den so gewonnenen Informationen wird es möglich sein, die Artenvielfalt der Ceraphronoidea in Deutschland zu erfassen und neue Arten in integrativ taxonomischen Revisionen zu beschreiben.

Die Diapriidae gehören zu den am wenigsten bekannten Familien der Hymenopteren. Sie sind vielfältig, kommen häufig in großen Individuenzahlen vor. Die meisten Arten bleiben aufgrund ihrer geringen Größe von 2-3 mm für Sammler unbemerkt. Die deutsche Checkliste führt etwa 290 Arten,  es wird jedoch geschätzt, dass weniger als die Hälfte der Arten offiziell beschrieben wurden. Die letzte umfassende taxonomische Behandlung der Gruppe in Deutschland  ist mehr als 100 Jahre alt (Kieffer 1916). Über die Biologie der Diapriidae ist sehr wenig bekannt. Diese Insekten kommen in den meisten terrestrischen Lebensräumen vor (mit einer Präferenz für nicht zu trockene Umgebungen), sind häufig sowohl sehr arten-, als auch Individuenreich in Insektenproben (aus Malaise-Fallen oder gelben Pfannenfallen) enthalten. Die meisten Arten sind einzelne oder gesellige Endoparasitoide von Diptera-Larven und -Puppen. Trotzdem ist die Lebensgeschichte der meisten Arten weitestgehend unbekannt. Verwendbare Identifikationsschlüssel sind nur für einen kleinen Teil der Arten verfügbar.

Eurytoma sp. – Foto: G. Delavare

Eurytomidae gehören zur Überfamilie der Chalcidoidea und umfassen weltweit 1.453 beschriebene Arten. Für Deutschland wurden 115 Arten aus 6 Gattungen erfasst. Von den 6 Gattungen sind Eurytoma (67 Arten) und Tetramesa (33 Arten) die artenreichsten. Die anderen Gattungen Aximopsis, Bruchophagus, Sycophila und Systole sind mit 1, 6, 6 und 2 Arten vertreten. Eurytomidae umfassen Arten mit einer Vielzahl von biologischen Eigenschaften. Die meisten von ihnen neigen dazu, endophytisch zu sein, entweder als Phytophagen oder als Parasitoide phytophager Insekten. Die Familie umfasst Vertilger von Samen, Gallenbildner, manche bohren Löcher in Stängel und Parasitoide. Die meisten parasitoiden Arten sind primäre Ektoparasitoide, die Eier, Larven oder Puppen von Coleoptera, Orthoptera, Diptera und Hymenoptera an greifen. Manche sind sogar Hyperparasitoide häufig von primären Parasitoiden der Ichneumonoidae. Vertilger von Samen sind beispielsweise mit Fabaceae verbunden, diejenigen, die Stängel anbohren, hauptsächlich mit Poaceae-Gräsern. Ungefähr ein Drittel der aus Deutschland erfassten Arten ist phytophag. Somit Eurytomiden vielfältige und häufig vorkommende Bestandteile von zwei wichtigen ökologischen Rollen in natürlichen Nahrungsnetzen, d. h. (Spezialisierten) Pflanzenfressern und Parasitoiden. In dieser Familie gibt es viele wirtschaftlich wichtige Schädlingsarten, zum Beispiel Mandel- und Pistazienbäume sowie Luzerne. In den meisten Fällen ist es ziemlich einfach, eine Eurytomidae von Vertreitern anderer ander parasitoiden Wespen zu unterscheiden. Trotz aller Bemühungen, das Wissen über die Familie zu verbessern, ist die Identifizierung der Arten innerhalb der Eurytomidae weiterhin problematisch. Die tatsächliche Anzahl der Arten in Deutschland ist unbekannt. Mehr als die Hälfte der erfassten Arten gehört zu einer einzigen Gattung Eurytoma. Eurytoma-Arten sind morphologisch sehr ähnlich und eine Verbindung von männlichen und weiblichen Exemplaren ist oft unmöglich. Bisher gab es keine gezielten Maßnahmen zur Untersuchung und Einbeziehung von Eurytomidae in GBOL oder andere europäische Initiativen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt. GBOL III: Dark Taxa kann ein Leitprojekt für die Einbeziehung dieser faszinierenden Insektenfamilie in die weltweiten Bemühungen zur Erforschung und Erhaltung der biologischen Vielfalt sein.

Eupelmidae ist eine Familie von parasitoiden Wespen innerhalb der Chalcidoidea. Sie besteht aus drei Unterfamilien (Eupelminae, Calosotinae und Neasastatinae), die alle Vertreter in Deutschland haben. Hier sind insgesamt derzeit 32 Arten erfasst. Eupelmiden sind Parasitoide von beispielsweise Käferlarven, Spinneneiern oder Gallenwespen, d. h. sie attackieren eine große Bandbreite von Wirten an. Die meisten Arten zeigen spezifische Anpassungen in der Fähigkeit zu kraftvollen Sprüngen, einschließlich eines großen und konvexen Mesopleurons. Durch diesen und andere Eigenschaften sind Euplemiden normalerweise leicht von anderen Chalkidoiden zu unterscheiden. Die gemeinsamen Charaktere können jedoch auch das Ergebnis einer konvergenten Evolution sein, da neue phylogenetische Studien darauf hinweisen, dass die Familie tatsächlich polyphyletisch sein könnte.

Anastatus sp. – Foto: L . Fusu

Die Figitidae ist eine Familie parasitoider Wespen. Sie sind nahe verwandt mit den Cynipidae, die sich über Gallen an verschiedenen Pflanzen vermehren. Die Figitiden selbst sind jedoch echte Parasitoide. Die sechs Europäischen Unterfamilien lassen sich grob durch ihre Wirtsgruppen unterscheiden. Drei der Unterfamilien attackieren dabei Feinde von Blattläusen: Die Anacharitinae parasitieren Larven von Taghaften (Hemerobiidae, „Blattlauslöwen“), Aspicerinae Schwebfliegen-Larven (Syrphidae) und die Charipinae sind sogenannte Hyperparasitoide, die parasitoide Brackwespen (Braconidae: Aphidiinae) befallen. Die eher kürzlich beschriebenen Parnipinae sind parasitoide von gallbildenden Insekten, sind jedoch ausschließlich von Südwest-Europa bekannt. Die bei weitem diversesten Unterfamilien sind die Figitinae und Eucoilinae, die Fliegenlarven parasitieren, die meist in Substraten wie Dung, Aas oder Kompost leben. Die Cynipoidea, die Überfamilie, zu der die Figitiden gehören, haben ein paar Merkmale gemein, die sie leicht von anderen Wespen abgrenzen, z.B. eine einzigartige Flügeladerung und ein seitlich abgeflachter Hinterleib (Metasoma). Die Unterscheidung der Figitiden von den anderen Cynipoiden ist nicht so einfach. Eine genaue Untersuchung mit geeigneten Instrumenten und Methoden ist von Nöten, um sie einwandfrei identifizieren zu können. Eine Körpergröße von etwa 1-5mm, eine unauffällige Färbung und äußere Morphologie haben viele Forscher dazu veranlasst die Gruppe weitgehend zu ignorieren. Gegen Ende des 19. Jh. haben sich Deutsche Zoologen der Erforschung der Figitiden gewidmet, doch wurde die Gruppe nie kontinuierlich von einer größeren Forschergemeinde bearbeitet. Heutzutage sind etwa 120 Arten aus Deutschland bekannt, doch laut vorläufigen Einschätzungen können mindestens 180 Arten erwartet werden. Vor GBOLIII: Dark Taxa gab es in Deutschland keineN Taxon-SpezialistIn, der/die die Figitiden erforschte. Das unterstreicht nicht nur den Status der Figitiden als „Dark Taxa“, sondern auch die Wichtigkeit des Projekts, das diese diverse Familie endlich im Rahmen von Biodiversitätsforschung erfasst.

Trybliographa sp. – Foto: R. Back

Die Microgastrinae sind eine weltweit verbreitete Unterfamilie der Braconidae (Brackwespen) mit 3,000 beschriebenen Arten. Es wird geschätzt, dass es weitere 20,000 bis 30,000 Arten unbeschriebene Spezies gibt, was die Microgastrinae zu einer der am wenigsten erforschten Gruppen von parasitoiden Wespen macht. Da diese Insekten gesellige Endoparasitoide der Schmetterlingslarven sind, spielen sie eine wichtige Rolle in der integrativen Schädlingsbekämpfung in der Land- und Forstwirtschaft.

Ormyrus sp. – Bild: O.Niehuis

Ormyridae ist eine kleine, kosmopolitische Familie von parasitoiden Wespen in der Überfamilie der Chalcidoidea. Sie zeichnen sich durch die auffällige Skulptur ihrer metasomalen Tergite aus, die häufig eine helle metallische Farbe und gut entwickelte hintere Koxae aufweisen. Die Larven von Ormyriden sind solitär lebende idiobionte Ektoparasiten verschiedener gallbildender Insekten, hauptsächlich der Tephiritidenfliegen und Cynipidwespen. Weltweit wurden etwa 140 Arten in drei Gattungen beschrieben, von denen 29 in Europa nachgewiesen wurden. Die Gattungen Eubeckerella und Ormyrulus sind monotypisch; Ormyrus ist die einzige artenreiche Gattung. Die Familie wurde weltweit nie katalogisiert oder überarbeitet, und eine große Anzahl von Arten wurde noch nicht beschrieben. Die tatsächliche Anzahl der Arten wird daher auf viel höher geschätzt. In Deutschland wurden nur 14 Ormyrus-Arten gelistet, eine zuverlässige Identifizierung auf Artenebene ist jedoch nicht möglich. Biologische Daten, morphologische Daten sowie eine molekulare Datenbank sind daher erforderlich, um Licht in dieses dunkle Taxon zu bringen.

Die Überfamilie Platygastroidea beinhaltet 6,095 beschriebene Arten in zwei Familien, Scelionidae und Platygastridae. Nur 136 Arten sind bisher aus Deutschland bekannt: 56 in Scelionidae und 80 in Platygastridae. Die tatsächliche Zahl an Arten ist in Deutschland unbekannt, aber es gibt Grund zur Annahme, dass es mehrere Hunderte sein könnten. Die Familie Scelionidae beinhaltet drei Unterfamilien, die ausschließlich Eiparasitoide von Insekten und Spinnen sind. Scelioninae sind Parasitoide der Ordnungen Orthoptera, Mantodea, Heteroptera, Lepidoptera, Embioptera, Araneae; Teleasinae befallen Wirte aus der Ordnung Coleoptera; Telenominae Wirte aus den Ordnungen Heteroptera, Auchenorrhyncha, Lepidoptera, Neuroptera und Diptera. Die Arten der Unterfamilie Sceliotrachelinae sind Eiparasitoide der Ordnungen Coleoptera, Fulgoroidea, Aleyrodidae und Pseudococcidae. Arten der Platygastrinae legen ihre eigenen Eier oft in die Eier oder frühen Larvalstadien von Dipteren, v.a. Gallmücken (Cecidomyiidae), entwickeln sich aber erst vollständig, wenn der Wirt in den späten Larvenstadien oder sogar im Puppenstadium angekommen ist. Aus diesem Grund ist die Überfamilie Platygastroidea von großem ökonomischem Interesse, da viele ihrer Wirte als Schädlinge in der Land- und Forstwirtschaft auftreten. Platygastroidea gelten als verlässliche Organismen für die biologische Schädlingsbekämpfung und werden sogar als Modelle in der Wissenschaft eingesetzt. Trotz ihrer Wichtigkeit zählen Platygastroidea zweifelsohne zu den unbekanntesten Gruppen in der deutschen Insektenfauna, für die kaum Schlüssel bestehen, die wenn vorhanden, zudem unvollständig bzw. veraltet sind. In der Vergangenheit wurden auch oft Arten anhand nur eines weiblichen Tieres beschrieben, ohne dass Informationen über die Männchen bekannt wären. Um das erste umfassende Artinventar der Platygastroidea für Deutschland zu erstellen, soll ein integrativer taxonomischer Ansatz in Kombination mit DNA Barcoding verwendet werden. Morphologische Merkmalen werden mit Micro-CT und Konfokaler Laserscanningmikroskopie (CLSM) untersucht. Zudem wird das Potential von Flügel-Interferenzmustern zur Artunterscheidung dieser Gruppe untersucht. Ein Schwerpunkt wird auf das Auszüchten von Tieren aus den Eiern Ihrer Wirte gelegt, um biologische Daten zu den Arten zu erhalten.

Synopeas sp.